fbpx
Ottmanngut | Klingende Zitate statt nichtssagender Bauten

Gabriele Reiterer

5. April

Share:

zurück

Klingende Zitate statt nichtssagender Bauten

In Meran traf Ländliches einst auf echte Urbanität. An diese Glanzzeiten knüpft nun eine edle Frühstückspension an.

Im April atmen die Gärten Merans den Hauch des Südens. Die Passer wird durch Schmelzwasser zum eisblaufarbenen Schwemmland, rechts und links des Flusses liegen Promenaden. An der Winterseite steht die alte Wandelhalle, eine zierliche, von knospenden Glyzinien umrankte Walzeisenkonstruktion. Im 19. Jahrhundert flanierten hier unzählige Besucher. Heute ist die Halle verlassen und liegt abseits. Der einstige Mittelpunkt hat sich zu einem stillen Ort gewandelt, gleichsam Symbol der vergessenen Geschichte.

Die Zeit ist am reichen Erbe der Südtiroler Kurstadt nicht spurlos vorbeigegangen. Viel an Tradition und Flair von Alt-Meran ist verschwunden, wurde kurzsichtig der Zerstörung preisgegeben. Der Abriss alter Villen, viele davon architektonische Juwele, ließ am Verstand der verantwortlichen Stellen zweifeln. Zugleich konnte man sich dem zeitgemäßen Bauen schwer öffnen, denn ersetzt wurde das Erbe meist mit nichtssagenden Bauten. Auch etliche hochtrabende Hotellerieprojekte der letzten Jahrzehnte sind nicht unbedingt gelungen.

Seit einigen Jahren scheint sich jedoch ein neuer Geist zu etablieren. Eine junge Generation hat zu agieren begonnen. Kleine individuelle Hotels und Gastbetriebe lösen mit Verve und hochstehendem Understatement die erstarrten Konzepte ihrer Väter ab.

Der Weg aus dem mittelalterlichen Teil der Stadt führt nordwestwärts durch ein altes steinernes Tor. Unterm Berg, am Fuße des Meraner Küchlberges, herrscht eine besondere Atmosphäre: Das Geviert ist städtisch und aufgelockert zugleich. Alte prächtige Villen säumen die Straßen. Hier kann man sich wunderbar verlaufen.

Tor zum feudalen Bürgertum

An einem dieser Häuser baumelt ein Schild über dem schwarzen schmiedeeisernen Gitter des Eingangstores und verrät den Namen. Das Ottmanngut zählt zu den prachtvollen feudalen Wohnstätten wohlbestallter Bürger der Meraner Belle Époque. Der älteste Teil des Hauses datiert zurück ins 13. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert erwarb ein Vorfahr der jetzigen Besitzer das Anwesen. Sein Enkel ließ es 1914 von Johann Pittoni herrschaftlich erweitern, dieser gestaltete einen Ansitz in eklektizistischer Reformbauweise. Meran ist reich an jener von der Architekturgeschichte lange Zeit kaum beachteten speziellen Spielart. Bei genauerer Sicht handelt es sich um durchdachte Manierismen: Es sind gezielt platzierte, oft überspitzt gestaltete architektonische Zitate der baulichen Tradition der Region.

2011 entschloss sich die jüngste Generation der Familie Kirchlechner zu Umbau und Renovierung. Durch das alte hölzerne Tor betritt der Gast das Haus, im Flur mit dem alten Terrazzoboden befindet sich die schlichte Rezeption. Rechter Hand führt der Weg in Aufenthaltsraum und Speisezimmer. Sorgfältig ausgesuchtes, teils aus dem Familienbesitz stammendes antikes Mobiliar lässt den L-förmigen Raum einladend wirken. Er schließt an die Orangerie an, vor der ein intimer und sehr gepflegter Garten liegt.

Kultivierte Mischnutzung

Zwei Palmen reichen bis zu den oberen Geschoßen des Hauses. Die Räume im ersten Stock sind den Besitzern vorbehalten, die neun Gästezimmer des Ottmannguts liegen im zweiten Stock. Aus dieser Mischnutzung erklärt sich wohl auch der Eindruck, man sei bei kultivierten Menschen zu Gast.

Alt-Meran war eine ästhetische Ode an die Sehnsucht, räumlich und zeitlich reizvoll konstruiert. Wer sich hier aufhielt, rechnete nicht in Tagen, vielmehr in Monaten und in Jahren. Hier lebte der europäische Adel im Nebeneinander mit den alten Tiroler Bauerngeschlechtern und der erstarkten zweiten, vielfach jüdischen Gesellschaft der europäischen Metropolen - diese Melange prägte einst die Kurstadt.

Die Südtiroler Auszeichnung für den historischen Gastbetrieb des Jahres 2014 wurde dem Ansitz aus gutem Grund verliehen. Dem Haus liegt kein hochfahrendes Hotelleriekonzept zugrunde, es ist Baukunst ohne Architekten. Die Bauherren steuerten die Renovierung und gestalterischen Gesten in eigener Regie. Und es atmet das kultivierte Verständnis einer neuen Generation, die klug und gebildet agiert. Ihren Vertretern könnte es gelingen, dort anzuknüpfen, wo Meran einst war: international und regional, ländlich-idyllisch und urban zugleich.